Am 27. Mai 2025 fand in Stuttgart das 3. IPA Fachforum statt, das sich schwerpunktmäßig mit den Chancen und Herausforderungen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Polizeiarbeit beschäftigte. Experten aus Polizei und Wissenschaft beleuchteten die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und diskutierten kritisch über Grenzen und Risiken der Technologie.
Hochkarätige Teilnehmer und vielseitiges Programm
Die Veranstaltung wurde von Jürgen Mathies, Staatssekretär a.D. aus Nordrhein-Westfalen, eröffnet. Philipp Kurz, Präsident der IPA Deutschland, stellte in seiner Begrüßung eine zentrale Frage in den Mittelpunkt: „Wie viel KI braucht unser Rechtsstaat – und wie viel hält er aus?“ und brachte damit das Spannungsfeld zwischen technologischen Möglichkeiten und rechtsstaatlichen Prinzipien auf den Punkt. Die baden-württembergische Landespolizeipräsidentin Dr. Stefanie Hinz wies in ihrem Grußwort auf das noch nicht ausgeschöpfte Potential der Technologie hin. Gleichzeitig betonte sie aber auch die unverzichtbare Rolle des Menschen: „Für gut ausgebildete Polizisten wird es nie Ersatz geben.“ Andreas Stenger, Präsident des LKA Baden-Württemberg, beleuchtete in seinem Impulsreferat die fundamental ethische Dimension, wie viel Verantwortung die Polizei an Maschinen abgeben dürfe. „Wir brauchen eine hohe digitale Grundkompetenz,“ um mit dieser Technologie verantwortungsvoll umzugehen und deren Grenzen und Möglichkeiten richtig einzuschätzen.
Cybercrime vs. Polizei – Wie die KI die Karten neu mischt
Eine zentrale Frage des Fachforums stellte Bernhard Lacker vom LKA Baden-Württemberg in den Mittelpunkt seines Vortrags: „Wer hat die Nase vorn? Kriminelle oder die Polizei?“ Seine These: Die KI ändert die Möglichkeiten auf beiden Seiten.
Ein wichtiger Aspekt, den Lacker hervorhob, ist die technologische Entkopplung von Kompetenz und Handlungsmacht. Dank Large Language Models (LLM) könnten nun auch Personen ohne Programmierkenntnisse eigene Programme erstellen. Diese Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen sowohl für Kriminelle, die nun einfacher an technische Werkzeuge gelangen, als auch für Ermittlungsbehörden, die neue Möglichkeiten zur Verbrechensbekämpfung erhalten.
Wie künstliche Intelligenz das Unsichtbare sichtbar macht
Timo Mix vom LKA Baden-Württemberg demonstrierte anhand eindrucksvoller Praxisbeispiele die Möglichkeiten von KI in der Ermittlungsarbeit. Dabei betonte er: „KI liefert mit relativ wenig Aufwand relativ gute Ergebnisse.“ Gleichzeitig mahnte er zur Vorsicht: „Wir müssen nicht nur fragen, was KI kann, sondern auch, was sie darf.“
Der Löwen-Fall aus Berlin
Als erstes Beispiel führte Mix den spektakulären Fall der vermeintlichen Löwin in Berlin aus dem Jahr 2023 an. Die damalige Suche mobilisierte hunderte Polizisten, Hubschrauber, Drohnen und Wärmebildkameras bei Gesamtkosten von rund 100.000 Euro. Nach intensiver Suche und Expertenanalysen stellte sich heraus, dass es sich höchstwahrscheinlich um ein Wildschwein handelte – eine Erkenntnis, die durch DNA-Analysen von Haar- und Kotproben bestätigt wurde.
Mix trainierte im Nachhinein eine KI durch Finetuning speziell auf die Erkennung von Löwen und Wildschweinen und fütterte sie anschließend mit dem recht unscharfen, ursprünglichen Bildmaterial der „Berliner Löwin“. Das Ergebnis war eindeutig: 73 % Wahrscheinlichkeit für ein Wildschwein, nur 9 % für eine Löwin.
Ermittlungsarbeit mit KI
Ein weiteres beeindruckendes Beispiel aus der Praxis zeigte den umfassenden Einsatz von KI bei der Telekommunikationsüberwachung in einem Ermittlungsverfahren. Die KI übernahm dabei nahezu die gesamte Vorarbeit:
- Übersetzung von Sprache
- Transkription der Gespräche
- Zuordnung zu Personen
- Kontextanalyse (Einordnung des Gesprächskontextes)
- Kategorisierung in relevante und irrelevante Gespräche
- Netzwerkanalyse
Dadurch wurde die KI zu einem unverzichtbaren Ermittlungstool, das eine effiziente Priorisierung ermöglichte. Bei der Auswertung des Datenverkehrs erkannte die KI, dass die relevanten Informationen nicht im Inhalt der Gespräche lagen, sondern in bestimmten Datensignalmustern der übertragenen Datenpakete versteckt waren. Diese Muster hatte der Mensch übersehen oder nicht wahrgenommen – die KI jedoch identifizierte sie zuverlässig.
Der Einsatz von KI bei der Terrorbekämpfung – Erfahrungen aus der Tschechischen Republik
Ein internationaler Blickwinkel wurde durch Lukáš Vilím aus der Tschechischen Republik eingebracht. Der Leiter der tschechischen Anti-Terror-, Extremismus- und Cybercrime-Behörde in Prag berichtete über Erfahrungen im Kampf gegen den Terrorismus und beleuchtete dabei zwei Aspekte seiner Arbeit.
Herausforderung Cloud-Speicherung
Ein zunehmendes Problem in der Ermittlungsarbeit stellte Vilím mit der Frage dar: „Kommen wir überhaupt an die Daten?“ Er wies darauf hin, dass immer mehr relevante Daten in der Cloud gespeichert werden statt auf lokalen Datenträgern vor Ort. Diese Entwicklung erschwert den Zugriff für Ermittlungsbehörden erheblich und stellt die Terrorbekämpfung vor neue logistische und rechtliche Herausforderungen.
Training mit historischen Daten
Als Lösungsansatz für die Verbesserung der Ermittlungsarbeit beschrieb Vilím den Einsatz von KI mit historischen Daten: „Die KI wird mit alten Fällen gefüttert, um Dinge sichtbar zu machen, die wir nicht gesehen haben.“ Durch das systematische Training mit bereits abgeschlossenen Fällen können Muster und Zusammenhänge erkannt werden, die bei der ursprünglichen Untersuchung übersehen wurden. Diese Methode eröffnet neue Perspektiven auf bereits bekannte Sachverhalte und kann wertvolle Erkenntnisse für zukünftiges Handeln liefern.
Einsatz von KI im polizeilichen Einsatz: Gesichtserkennung zur Generierung von Identitätshinweisen
Lena Bowitz und Patrick Rolfes vom Bundeskriminalamt stellten den praktischen Einsatz von Gesichtserkennung durch künstliche Intelligenz vor. Dabei thematisierten sie sowohl die Möglichkeiten als auch die kritischen Aspekte der Technologie.
Rolfes erklärte zur Leistungsentwicklung bei der Gesichtserkennung, dass die Fehlerrate in den letzten 10 Jahren um den Faktor 40 abgenommen habe. Die KI nehme auch enorm viel Arbeit ab, wenn es sich um große Datenmengen und triviale Fragen handele: „Habe ich 1 Million Bilder von 1 Million individuellen Menschen? Oder nur von 5 Personen, die sehr häufig vorkommen?“
Die BKA-Experten betonten auch die organisatorischen Vorteile: KI könne moderne Prozesse ermöglichen und den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren. Lena Bowitz sah darin auch Chancen für die Beschäftigten: „Personal, das durch KI weniger zu tun hat, kann in anderen Bereichen eingesetzt werden. Die Chance für Beschäftigte liegt darin, dass sie sich neu orientieren können.“ Sie plädierte für „Mut zu Veränderung“ beim Einsatz neuer Technologien.
KI generierte Klassifikation toxischer Äußerungen in sozialen Netzwerken
Ein ausgeklügeltes System zur automatisierten Analyse von Hass und Hetze im Internet präsentierte Prof. Dr. Melanie Siegel von der Hochschule Darmstadt. Ihr Ansatz ermöglicht die Vor-Klassifikation deutschsprachiger Hasskommentare nach verschiedenen Kriterien:
- Identifikation von Hatespeech
- Bestimmung des Grades der Toxizität
- Einschätzung der strafrechtlichen Relevanz, sogar nach spezifischen Paragraphen
Dabei warnte Prof. Siegel jedoch eindringlich vor den Grenzen und Risiken: „Darüber sollte man sich bewusst sein: am Ende ist immer Bias in den Daten.“ Sie mahnte zur kritischen Auseinandersetzung mit KI-generierten Inhalten: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht allem, was sich gut anhört, auch Sinn zuweisen.“ Dies gelte besonders im Kontext von Fake News und KI-generiertem Content.
Ihre klare Empfehlung für die Praxis: „Nutzen Sie nicht für jede Aufgabe generative Sprachmodelle. Nutzen Sie eigene Server und Modelle und kontrollieren Sie die Daten, auf denen trainiert wird.“
Podiumsdiskussion zu Hass und Hetze im Netz
Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema „Hass und Hetze im Netz – Detektion mittels KI und Klassifikation“ mit Bettina Rommelfanger vom Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg, Prof. Dr. Melanie Siegel und Bernhard Lacker.
Die Veranstaltung bot den Teilnehmern nicht nur fachlichen Input, sondern auch wertvolle Gelegenheiten zum Austausch und zur Vernetzung zwischen Experten aus verschiedenen Bereichen der Sicherheitsbehörden und Wissenschaft.
(Text + Bilder: Wolfgang Appenzellzer)