Nach langer Vorbereitung und entsprechender Vorfreude starteten wir am 4. Oktober nach Chicago, um dort wenige Tage später am 45. Chicago-Marathon teilzunehmen – letztlich erfolgreich. Neben diesem Ereignis hatten wir natürlich noch viele weitere Programmpunkte für unseren einwöchigen Aufenthalt geplant, z. B. einen Besuch der Polizei Chicago im Rahmen der IPA.
Nach einer Anfrage an IPA USA per E-Mail kam kurz darauf eine Antwort und wir wurden eingeladen, gemeinsam mit Kollegen aus Hamburg einen Tag bei der Polizei zu verbringen. Der Besuch der Kollegen fand im Rahmen der Städtepartnerschaft und der seit vielen Jahren regelmäßig stattfindenden gegenseitigen Besuche statt; außerdem waren einige Kollegen ebenfalls Teilnehmer am Marathon. Das angekündigte Programm ließ einen sehr interessanten Tag erwarten und somit sagten wir unsere Teilnahme natürlich zu!
Am 6. Oktober war es so weit: trotz Urlaub schon um 5:30 Uhr aufzustehen ist natürlich nicht berauschend, aber was tut man nicht alles! Wir hatten glücklicherweise nur 15 Minuten Gehzeit zu unserem Treffpunkt mit zehn Hamburgern am Thompson Center im Stadtzentrum vor uns. Pünktlich um 6:30 Uhr traf der Ford-Kleinbus des Chicago Police Department (CPD) mit Sergeant Cain von der IPA ein. Ein zweiter Bus holte parallel die übrigen Kollegen ab und nach 15 Minuten Fahrt erreichten wir die Police Academy, die in einem zweigeschossigen Bau aus den Siebzigern untergebracht war. Es wurde langsam hell, aber es war noch ziemlich kalt.
Nach gemeinsamer Begrüßung und Positionierung neben den Flaggenmasten am Vorplatz traten letztlich die Belegschaft der Academy mit über 300 Rekruten in Reih und Glied an: jede Klasse mit Wimpel, glänzend polierten Schuhen und akkurater Haltung.
Um 7 Uhr fand ein beeindruckender Fahnenappell statt (flag ceremony) mit Zähl- und Meldeappell und dem Hissen der Stars and Stripes sowie der Flagge von Chicago. Es wurde über den Tod eines aktiven Hamburger Kollegen im Jahr 2020 berichtet und nach den Schlussworten des Redners „… and he will never be forgotten“ erfolgten dieselben Worte noch einmal aus allen Kehlen: Gänsehaut, nicht nur wegen der morgendlichen Temperatur.
Im Anschluss fanden wir uns im Großraumbüro der Verwaltung ein, wo zahlreiche Leckerbissen von Dunkin` Donuts und Kaffee angeboten wurden. Nach einer nochmaligen Begrüßung fanden eine Smalltalk-Runde und der Tausch von Geschenken statt: ein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle der Verbindungstelle Esslingen für die reichliche Ausstattung mit Kugelschreibern, Tassen und Patches für unseren Polizei-Tag!
Danach wurden wir durch die Sporträume geführt, in denen allgemein bekannte Trainingsgeräte standen. Ein weiteres Highlight war ein Schießraum, der aus fünf bienenwabenähnlichen Leinwänden bestand, die vom Boden bis zur Decke reichten. Auf diesen Leinwänden werden interaktive Szenarien abgespielt, von denen hunderte zur Verfügung stehen und bei denen mit Laserwaffen auf die Ziele geschossen werden kann. Zwei Kolleginnen aus Hamburg bekamen ein Amoklaufszenario in einem Kino-Komplex zur Aufgabe gestellt und bewältigtes es sehr gut. Dieses System hier ist übrigens seit 2015 in Betrieb.
Im Untergeschoss befand sich in einem Schulungsraum eine 3D-Schießanlage im Wert von 50000 US-Dollar: hierbei stehen vier Stative, ca. 2,20 m hoch, mit dort angebrachten Sensoren, als ca. 5 x 5 m großes Quadrat und die trainierende Person in diesem Quadrat trägt einen 3D-Helm sowie eine Pistole mit Sensoren. Ein Trainer und die Zuschauer verfolgen auf einem PC-Monitor das Szenario – auch hier durfte eine Kollegin eine Lage bewältigen, zudem vollständig auf Englisch. Hin und wieder musste sie am Rücken angestupst werden, weil sie das Quadrat rückwärts verlassen wollte.
Eine weitere Station war ein Filmschnittstudio, in welchem Ausbildungsvideos hergestellt werden, die auch Mitschnitte aus realen Einsätzen enthalten. Auch hier nahmen sich die Academy-Kollegen viel Zeit für die Erklärungen und unsere Fragen.
Nach der Academy fuhren wir etwa 10 Minuten bis zum nächsten Programmpunkt, dem Besuch des Polizei-Shops mit allerlei Kleidungsstücken wie T-Shirt, Jacken, Kappen, Pullis, Patches, Tassen und vielem anderen mehr. Es war interessant, dort zu stöbern und es wurde insgesamt von uns allen sehr viel gekauft.
Ab diesem Zeitpunkt war auch Bob Moon, der 1. Vizepräsident der IPA USA, mit dabei. Er wohnt in Chicago und ist aktiver Ermittler im Finanzbereich.
Im Anschluss fuhren wir zum PSTC, dem Public Service Training Center, einem brandneuen Gebäudekomplex aus Beton, den Ausmaßen eines Baumarktes und natürlich mit Großparkplatz. Für 130 Mio. USD wurde mit dem PSTC eine Fortbildungsstätte geschaffen, die von der Polizei Chicago (CPD), den umliegenden Polizeien und der Feuerwehr von Chicago (CFD) genutzt wird. Wir erhielten nach Empfang der Besucherausweise und blauer Besucherwesten sowie einem Sicherheitscheck wie am Flughafen Zugang und eine ausgiebige Führung durch den Komplex, in dem wir auch fotografieren und filmen durften.
Was bekamen wir zu sehen? Zum einen zwei angrenzende Schießhallen von jeweils 35 m Breite und 23 bzw. 46 Meter Länge, die zudem mit Rolltoren versehen sind, um Fahrzeuge und anderes Equipment für das Training hineinzubringen. Weiterhin einen zweistöckigen Bereich mit einer nachgebauten Kreuzung als zentraler Punkt mit Laternen und Mülleimern und Gehwegen und Geschäften für das Training von Szenarios. Auch hier gab es Rolltore, um Fahrzeuge hineinfahren zu können.
In mehreren Schulungsräumen für die Erste Hilfe bekamen wir eine hochmoderne und mehrere zehntausend Dollar teure Puppe vorgeführt, die zunächst gängigen Erste-Hilfe-Puppen entsprach, aber neben Sprengverletzungen an den Unterschenkeln auch zahlreiche andere Öffnungen für mögliche Erste-Hilfe-Maßnahmen enthielt. Die Atmung ließ sich per App steuern und auch simuliertes Blut kann aus der Puppe fließen. Die Pupillen ließen sich durch Drehen der Augen zu unterschiedlichen Größen anpassen. Wir alle durften die Rekruten beim Erste-Hilfe-Training beobachten: allerdings wurde in den licht- und fensterlosen Räumen der Stresslevel für sie durch sehr lautes Sirenengeräusch und die typischen blau-roten Rundumlichter stark erhöht, während sie an Puppen Szenarien trainieren mussten.
In einer großen Halle für das Amok-Training befanden sich verstellbare Wände, mit denen immer wieder neue Raumaufteilungen und Gänge gebildet werden können. Über dieser Trainingsfläche befand sich, ähnlich wie in einem Gefängnis, ein Rundgang mit Kleingitterböden und Geländern, um die Szenarien darunter beobachten zu können.
Wir durften auch hier die Rekruten bei sechs verschiedenen Szenarien beobachten. Auch hier war das Filmen und Fotografieren erlaubt, allerdings mussten wir still sein. Die Szenarien endeten jeweils mit etlichen Schussabgaben. Abschließend waren kleine Gespräche mit den Einsatztrainern möglich und sie schenkten uns Münzen mit Darstellungen ihrer Einheit (Unit 124). Es war sehr schön, dass wir auch hier so viel Zeit haben durften.
Den Abschluss bildete eine Führung durch Schulungsräume im 1. OG, wo zahlreiche Vorsorge- und Nachsorgeschulungen durchgeführt werden: diese Konzepte, die u. a. Ernährung, Schlaf, Finanzen, Lebensführung und Yoga betrafen, gibt es erst seit kurzer Zeit. Zusätzlich ist es für alle Officer Pflicht, nach Beteiligung an einem Schusswaffeneinsatz bzw. Schusswechsel hier eine zweitägige Nachsorge zu besuchen.
Für das Training von Feuerwehrleuten stand eine große Halle mit riesiger Stars-and-Stripes-Flagge und vollständigem Feuerwehrzug mit den bekannten großen US-Fahrzeugen zur Verfügung. Die Halle war dabei so hoch, dass sechs Stockwerke mit etlichen Fensteröffnungen vorhanden waren, aus denen auch reales Feuer für Brandsimulationen lodern kann.
Im Außengelände, auf dem Polizei und Feuerwehr gemeinsam oder getrennt trainieren können, befand sich eine nachgebaute Nachbarschaft mit Einfamilienhäusern und üblichen Raumaufteilungen. In diesen Räumen, die durchweg mit Holz verkleidet waren, können auch Farbmarkierungstrainings abgehalten werden. Ein mehrstöckiges Trainingsgebäude für die Feuerwehr befand sich noch in Bau.
Insgesamt war das PSTC sehr interessant, einfach riesig und gut durchdacht.
Auffällig war die große Anzahl von Trainingspersonal. Zweifellos herrschen für Feuerwehr und Polizei in Chicago, der drittgrößten Stadt der USA, ganz andere Anforderungen, als wie wir sie aus Deutschland kennen. Auf Youtube ist ein kurzer Image-Film zu diesem Trainingszentrum zu finden.
Am frühen Nachmittag verabschiedeten wir uns von den Hamburger Kollegen und wir alle erhielten noch Patches von der IPA-Section 4, in der sich Chicago befindet. Spontan bot uns Bob Moon an, uns in seinem Cadillac zum Hotel zu fahren, wobei er zunächst eine pensionierte IPA-Kollegin zum Polizeihauptquartier im Süden Chicagos fahren musste, weil sie dort ihren Pkw geparkt hatte. Wir sagten selbstverständlich zu und kamen so in den Genuss, eine 90-minütige Stadtrundfahrt durch üble, weniger üble und gesittete Stadtviertel machen zu dürfen. Es gab zwar Stau auf dem Highway und auch den Hauptverkehrsstraßen in Chicago wegen des Berufsverkehrs, aber wir unterhielten uns prima und zudem gab es jede Menge zu sehen. Nach einem Zehnstundentag waren wir schließlich zurück am Hotel und ziemlich erschöpft.
Der Tag bleibt definitiv unvergessen und die Kontakte, die wir dort knüpfen konnten, werden wir natürlich pflegen! Sollte es euch je nach Chicago verschlagen, dann wendet euch gerne an uns für Tipps und die Möglichkeit zu einer Kontaktaufnahme mit der IPA und der dortigen Polizei.
Ach ja: als wir zwei bei unserem Marathonlauf am übernächsten Tag an der Police Academy im Abstand von einer Stunde vorbeikamen, trafen wir jeweils einen US-Kollegen vom Freitag wieder und nach bereits über 26 km Laufstrecke war das eine erfreuliche Aufmunterung für uns gewesen.
von Katrin und Markus Güntzschel