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Frontex – Missionen: We‘ ve come a long way. But there’s more to come

Rund 2700 eingesetzte Beamte zur Unterstützung der Mitgliedsstaaten, etwa 20 operational sites an den Außengrenzen der Europäischen Union, nationale und europäische Experten im Headquarter in Warschau, jederzeit innerhalb kürzester Zeit fähig, auf dynamische Lagen an der Grenze zu reagieren. Das ist der Anspruch an eine der jüngsten und gleichzeitig wichtigsten Agenturen im Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts: an die Europäische Grenz- und Küstenwache Frontex. Doch was insbesondere zur letzten Europawahl als eines der Vorzeigeprojekte erschien, geriet in der Zwischenzeit in erheblich unruhigere Fahrwasser. Die Gründe dafür sind und waren vielfältig- und nur in Teilen hatte die Agentur das selbst in der Hand.

Insbesondere die letzten drei Jahre haben gezeigt, dass sich nicht nur das Innenleben der Agentur wesentlich verändert hat, sondern auch das (geo-)politische Umfeld. Mandatsreform, Aufbau des Standing Corps, hybride Bedrohungen und instrumentalisierte Migration, Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen und des Missmanagements bis hin zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine – all das hat die junge Agentur – und mit ihr alle Beamtinnen und Beamten – enorm unter Druck gesetzt und empfindlich nicht nur an den Ressourcen, sondern auch an den Nerven gerüttelt. Dabei nimmt der Druck nicht ab, hängt doch nicht weniger als der Schengenraum an der Sicherung der Außengrenze. In Zeiten des Umbruchs, in dem wir uns befinden, kann es nicht deutlich genug gesagt werden: Was um uns herum passiert, hat Auswirkungen auf die Außengrenzsstaaten, hat Auswirkungen auf den Schengenraum, hat Auswirkungen auf alle Mitgliedsstaaten. Das anzuerkennen braucht eine mentale Einstellung und vor allem gemeinsame Anstrengungen zur Bewältigung.

Es ist also Zeit, eine Bestandsaufnahme zu machen: Wo steht die Agentur, wie lässt sich die internationale und europäische Lage bewältigen, welche Herausforderungen liegen noch vor uns?

Zeiten des Umbruchs: Von Kritik, Wandel und Geopolitik

Um die aktuelle Lage zu beleuchten, lohnt ein Blick zurück in die letzten vier Jahre. Mit dem 2019 in Kraft getretenen Mandat ist der wohl bisher größte Wandel der Agentur erfolgt. Zur bisherigen Aufgabe kam eine viel stärker operative Ausrichtung der Agentur, getoppt durch die Schaffung des neuen Standing Corps. Erstmals in der Geschichte der EU sollten ein Pool eigener Grenzbeamter mit einheitlicher Uniform und Ausbildung aufgebaut werden, damit die Agentur schneller als bisher in den Einsatz gehen kann.

Gleichzeitig wandelte sich das Umfeld, in dem die Agentur zur Unterstützung herangezogen wurde, enorm. Nicht erst seit 2019 mussten wir beobachten, dass Migrationsbewegungen gezielt gesteuert und bewusst eingesetzt worden sind, sei es an der griechisch-türkischen Grenze – über deren Verlauf selbst insbesondere auf See und Inseln betreffend es andauernde Konflikte gibt – oder in neuer Interpretation mit noch zynischer Ausführung zwischen Belarus und den angrenzenden Staaten der Europäischen Union. Parallel dazu stieg die Gewaltbereitschaft von Schleuser- und Schmugglernetzwerken enorm, sowohl gegenüber den Grenzbeamten als auch mit Blick auf die menschenverachtende Ignoranz gegenüber Leib und Leben der Geschleusten.

Vor diesem Hintergrund kam und kommt es immer wieder zu Vorwürfen gegenüber Frontex, in Grund- und Menschenrechtsverletzungen verwickelt zu sein oder sie zu beobachten und deren Existenz zu dulden. Nahezu zeitgleich erschienen Untersuchungen der Europäischen Anti-Betrugsbehörde OLAF sowie ein Bericht des Europäischen Rechnungshofes über die Effizienz der Arbeit der Agentur, die, obgleich alle unterschiedlichen Herausforderungen adressierten und explizit nicht mit der Aufarbeitung der Grund- und Menschenrechtsvorwürfe befasst waren, in Teilen der politischen Debatte zu einem grundsätzlichen Infragestellen der Agentur führten. Aufgrund der anhaltenden Dauer der Vorwürfe und der aus politischer Sicht nicht adäquaten Reaktion des Exekutivdirektors  – aber auch der Kommission und des Verwaltungsrates – in der Aufarbeitung der Vorwürfe hat das Europäische Parlament das Frontex-Kontrollgremium „Frontex Scrutiny Working Group“ (FSWG) ins Leben gerufen und sich über einen Zeitraum von einem knappen Jahr intensiv mit der Arbeit der Agentur und den Vorwürfen auseinandergesetzt.

Die gesamte Aufarbeitung der Vorwürfe ruht dabei auf grundlegenden Pfeilern, die hier deshalb auch erwähnt seien: Die Europäische Union, jeder Mitgliedsstaat und jeder, der in ihrem Namen handelt, ist zur Einhaltung der Grund- und Menschenrechte verpflichtet. Punkt! Denn am Ende geht es immer um Menschen und unseren Anspruch an Werte und Rechte.

Gleichzeitig sind alle oben genannten ebenfalls durch nationales, europäisches und internationales Recht verpflichtet, Grenzen zu schützen und vor allem kriminelle Netzwerke zu bekämpfen, die die Ärmsten der Armen ausbeuten und schmuggeln. Diese sensible Balance zu wahren, wird mit dem neuen Mandat der Agentur, dem Standing Corps und dem stärkeren Fokus auf Drittstaatskooperationen und Rückführungsmanagement noch wichtiger als es das vorher schon war. 

Der Abschlussbericht und auch die weitere Arbeit der FSWG haben dabei keine Beteiligung der Agentur an Grund- und Menschenrechtsverletzungen feststellen können. Vielmehr wurde in der Summe der Vorwürfe und der oben genannten Berichte das „Ecosystem of Responsability“ deutlich, dass die Agentur umgibt und die bestmögliche Aufgabenerfüllung sowohl intern als auch extern unterminiert hat. Die sachlichen Reaktionen aus Kommission, Verwaltungsrat und Parlament waren daher notwendig und richtig.

Die Agentur selbst hat im vergangenen Jahr nach dem Ausscheiden des vorherigen Exekutivdirektors verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Fehlstellen zu adressieren und der überarbeiteten Aufgabe besser gerecht zu werden. Dazu gehört ganz wesentlich der Stil des neuen Exekutivdirektors, aber auch die Aufgabe und Rolle der drei stellvertretenden Direktoren, die unter alter Leitung nur unvollständig arbeiten konnten oder gar nicht besetzt waren. Damit ist die neue Führungsmannschaft ein wesentlicher Faktor in der strukturellen Resilienz und im Alltags- bis hin zum operativen Geschäft der Agentur. Dazu gehört auch die Umsetzung der weiteren Empfehlungen der Scrutiny Group wie Transparenzanforderungen sowie die Reform des Reporting-Systems innerhalb der Agentur, insbesondere mit Blick auf die serious incident reports und der Umgang mit den Einsatzmitgliedsstaaten in der Frage.

Parallel dazu hat ein neuer Grundrechtebeauftragter seine Amtsgeschäfte von der Vorgängerin übernommen, der innerhalb der Agentur ebenso Vertrauen genießt wie im Konsultativforum, das die Arbeit der Agentur begleitet. Ihm zur Seite gestellt sind mittlerweile 46 Grundrechtsbeobachter, die die Einsätze der Agentur mit vorbereiten und vor Ort begleiten (dürfen). Gemeinsam mit der Agentur haben sie die Grundrechtsstrategie neu aufgesetzt und organisieren die Umsetzung innerhalb und außerhalb der Agentur.

Auch der Verwaltungsrat nimmt seine Verantwortung nun anders und besser war, als dass vorher der Fall gewesen ist.

Ausdruck der Anerkennung des Wandels in der Agentur ist, dass das Europäische Parlament in diesem Jahr die Haushaltsentlastung der Agentur zum ersten Mal nicht mehr verschoben, sondern wieder gewährt hat. In diesem konstruktiven Sinne muss die weitere Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteuren, Parlament, Verwaltungsrat, Kommission auch weitergeführt werden, insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, die die Agentur unter schwierigen Bedingungen gemeistert hat.

Offen geblieben aus dem Abschlussbericht der FSWG sind noch die Reform des Artikels 46 der Frontex-Regulierung (Suspendierung, Beendigung oder Nichtaufnahme eines Einsatzes in einem Mitgliedsstaat) sowie die übergeordnete Frage, wie effektives Grenzmanagement mit dem non-refoulement-Prinzip praktisch in Einklang zu bringen ist – an Land schon kein einfaches Unterfangen, auf See nicht minder herausfordernd. Das sind jedoch größtenteils politische Fragen, die die Agentur gar nicht lösen kann, darf oder sollte und die dementsprechend auch nicht auf dem Rücken der Agentur – und damit der eingesetzten Beamten – ausgetragen werden dürfen. Sie müssen zwingend vom europäischen Gesetzgeber im Rahmen des normalen politischen Prozesses ausgehandelt werden- aus meinem persönlichen Mandatsverständnis heraus gern, bevor der EuGH dazu sprechen muss.

Mit Blick auf die vergangenen Jahre ist damit deutlich: Vier Mandatsreformen innerhalb von knapp zehn Jahren hätten jede Struktur herausgefordert. Der Wandel von einer stark auf Koordinierung ausgerichteten Agentur zu einer operativen Agentur ist ein enormer Sprung, nicht nur aus dem Blickwinkel europaeischer Integration, sondern und in erster Linie organisatorisch und strukturell. Diesen Wandel zu stemmen, ist keine leichte Aufgabe gewesen und Schwächen in der Führung bis hin zu klarem Versagen der Führungsstruktur traten umso deutlicher hervor.

Umso klarerer ist jetzt aber auch: Verwaltungsrat, Kommission und Parlament haben eine gemeinsame Aufgabe, die Agentur bei der Umsetzung ihres Mandats zu unterstützen. Diejenigen Beamten, die bereit sind, für die gemeinsame europäische Idee in den Einsatz zu gehen, brauchen die beste rechtliche, organisatorische und operative Unterstützung, die wir gewähren können.

Evaluierung des 2019er-Mandats oder wie wir die Agentur noch besser machen

Ein guter Zeitpunkt, um diese Erfahrung der letzten Jahre zu adressieren ist die anstehende Evaluierung der Frontex-Regulierung (EU) 2019/1896, die turnusmäßig vier Jahre nach Inkrafttreten durchzuführen ist  – wie im Übrigen bei jeder europäischen Gesetzgebung. Damit hat die Kommission zu Anfang des Jahres begonnen, sie trägt derzeit die Stakeholder-Konsultationen zusammen und erwartet ersten Ergebnisse im Laufe des Jahres.

Aus meiner Sicht können, bis auf die oben erwähnte Frage des Artikels 46, alle Fragen bereits adressiert werden, ohne das Mandat in Gänze neu aufmachen zu müssen. Mit den internen Strukturreformen, mit der Besetzung der offenen DED (Deputy Executive Driector)-Stellen und dem neuen Exekutivdirektor ist die Agentur nun bestens aufgestellt für die gestiegene Verantwortung des 2019- Mandats.

Wesentlicher erscheint mir, dass wir die Herausforderungen unterhalb der Rechtsgrundlage angehen: Dazu gehört die ordentliche Strukturierung des Standing Corps mit rechtlicher und organisatorischen Klarheit über Aufgabe, Einsatz- und Dienstorte sowie die Herstellung attraktiver Arbeitsbedingungen. Hier sind vor allem auch die einsetzenden Mitgliedsstaaten gefragt: Wer europäische Unterstützung haben möchte, sollte das auch über vernünftige Räumlichkeiten, Einbindung in Strukturen und Unterstützung vor Ort zum Ausdruck bringen. Der Agentur obliegt hier, Rotationen sinnvoll aufzubauen, Planbarkeit wo immer möglich herzustellen und bei der Organisation der Einsätze verlässlicher zu unterstützen.

Ebenso gehört allerdings auch dazu, dass das Training des Standing Corps ausgebaut und verstetigt wird. Mir sei ein Fingerzeig an die eigene Nase in der Politik erlaubt: sechs Monate waren politisch gewünscht, sind aber aus meiner Sicht viel zu wenig. Politischer Handlungsdruck ist gut, um Entwicklungen anzustoßen, ordentlich arbeiten muss aber auch der Gesetzgeber. Mit dem Standing Corps gilt es, nicht weniger als den „first mover“-Effekt von Frontex in der Entwicklung und Ausbildung einer „europäischen Polizeikultur“ bewusst zu gestalten und zu nutzen.

Unterhalb des Mandates anzusiedeln ist eine weitere Unterstützungsform, die durch die Mitgliedsstaaten gewährleistet sein muss: Daten haben wollen alle, Daten zuliefern aber eher unstet, unvollständig oder gar nicht. Dabei sollte allen klar sein: Der operative und strukturelle Erfolg der Agentur liegt in der Gemeinsamkeit, Lagebilder können nur dann vollständig sein und zur besten Grundlage von Einsätzen werden, wenn alle ihre Aufgabe übernehmen.

Und auch an anderer Stelle können wir die Mitgliedsstaaten nicht aus ihrer Verantwortung lassen: Wenn wir gemeinsamen europäischen Austausch, gemeinsamen Grenzschutz, gemeinsame Sicherheit gestalten wollen, dürfen europäische Einsatze – im Übrigen nicht nur bei Frontex, sondern auch bei Europol – nicht als „Urlaub“ wahrgenommen werden, der den Kollegen nach Rückkehr möglichst noch nachteilig ausgelegt wird. Vielmehr gilt es, Anerkennung und Wertschätzung für die Erfahrung, die die Beamte wieder mit in ihre Einheiten zurückbringen, sinnvoll anzuerkennen. Das kann über Urlaubsansprüche, finanzielle Anreize oder Boni bei der Altersversorgung gehen, fängt aber oftmals schon bei der Frage des persönlichen Karriereweges nach der Rückkehr an. Ihre Erfahrung, ihre Kenntnis über Strukturen und Aufträge in anderen europäischen Ländern tragen letztlich unsere gesamte Zusammenarbeit, die auf Wissen und damit Vertrauen beruht, nur das ermöglicht Weiterentwicklung. 

Genau dieses Wissen und Vertrauen brauchen kontinuierliche Aufmerksamkeit und Arbeit an den Strukturen. Es sollte uns daher sehr daran gelegen sein, Anreize und Angebote zu setzen, um den europäischen Austausch zu fördern. Dazu gehört, Sprachkurse ebenso finanziell und strukturell (stärker) zu unterstützen wie gemeinsame Einsatztrainings. Genauso ist es erforderlich, Wissen über die EU, über unsere Nachbarn, über die anderen Mitgliedstaaten und über europäische Einsatzgelegenheiten so früh wie möglich in die Ausbildung zu integrieren: Erasmus+ kann noch viel stärker genutzt werden, Wissen über die Institutionen und Agenturen, über das Politikfeld Innen- und Sicherheitspolitik in Europa kann besser in das Curriculum integriert werden.

Auch auf europaeischer Ebene bleiben wichtige Lehren der letzten Jahre, die nicht mit der Mandatsevaluierung allein adressiert werden können: Wollen wir einen wichtigen Schritt nach vorne machen und die Sicherung der Außengrenze wirklich ernst nehmen, braucht die Agentur mehr Eigenverantwortung. Das könnte bspw. das Recht sein, eigenständig Grenzabschnitte zu überwachen, ohne in dem „ecosystem of responsibility“ zwischen Mitgliedstaaten, Kommission, Parlament und Erwartungshaltung der Bevölkerung zerrieben zu werden. Hier ist viel Mut der nationalen und europäischen Politik erforderlich, aus meiner Sicht aber ein lohnenswerter Sprung.

Zum Schluss bleibt das Credo an alle Verantwortlichen, insbesondere mit Blick auf die Europawahl im nächsten Jahr und die laufenden Evaluierung, dass es der Agentur politisch ermöglicht bleiben muss, sich auf ihren eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren: Unterstützung bei Grenzkontrollen an Land-, See- und Luftgrenzen, Sammlung und Austausch von Informationen über die Situation an den EU-Grenzen und darüber hinaus, Rückführung von Personen, die kein Aufenthaltsrecht in der EU haben, Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, einschließlich Schleuserkriminalität, Dokumentenbetrug und Terrorismus sowie Innovationsmanagement zur Stärkung des integrierten Grenzmanagements. Gelingt „allein das“, kann die Agentur ihren unersetzlichen Beitrag zur Stärkung der Sicherheitsunion leisten. Das sollte im Sinne der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger der politische und organisatorische Anspruch bleiben.  

Die Autorin:

Lena Dupont ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Sie ist Vorsitzende des Frontex Kontrollgremiums und Mitglied des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.